»Es handelt sich hier um einen bestens recherchierten, chronologisch aufgebauten Wissensspeicher zur Geschichte der Weißen Rose im Jahr 1943: Möglichst alle relevanten Quellen werden ediert, quellenkritisch kommentiert und im Internet veröffentlicht. Hinzu treten, soweit sinnvoll und möglich, weitere Erschließungshilfen wie die chronologische und topografische Rekonstruktion einzelner Tage. Auf diese Weise entsteht im Laufe der nächsten Jahre ein wissenschaftliches, sicher viel genutztes Hilfsmittel – nicht nur für die Weiße-Rose-Forschung, sondern für alle, die sich für dieses wichtige Kapitel deutscher Zeitgeschichte näher interessieren.« ·  Prof. Dr. Hans Günter Hockerts

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Die Geschichte der Weißen Rose, des mehrheitlich studentischen Freundeskreises um Hans Scholl und Alexander Schmorell in den Jahren 1942/43, gehört zu den bedeutendsten Erzählungen des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Zahlreiche Schulen, Straßen und Plätze erinnern durch ihre Namensgebung daran, wobei den Geschwistern Scholl eine überaus prominente Rolle zukommt. Die von der Ludwig-Maximilians-Universität München veröffentlichte Bibliographie nennt inzwischen über 1.000 (populär-)wissenschaftliche und journalistische Titel. Hinzu kommen Ausstellungen, Belletristik, Filmdokumentationen, Gedenktafeln, Graphic Novels, Hörspiele, Jugendbücher, Lieder, Opern, Skulpturen, Spielfilme, Theaterstücke und Websites – anlässlich des 100. Geburtstags von Sophie Scholl am 9. Mai 2021 auch eine (weitere) Briefmarke, eine Gedenkmünze und ein Instagram-Projekt. Dabei spielt die Berufung auf die historischen Quellen fast immer eine herausragende und legitimierende Rolle. Allerdings sind zahlreiche Quellen nur schwer zugänglich und werden häufig nach der Sekundärliteratur zitiert. Viele Dokumente sind quellenkritisch schwierig einzuordnen und werden nicht immer wissenschaftlich fundiert herangezogen. Hier setzt das Projekt Quellen zur »Weissen Rose« im Jahr 1943 an.

Im Laufe der nächsten Jahre werden an dieser Stelle Quellen unterschiedlichster Herkunft und Relevanz zusammengetragen, kalendertäglich zugeordnet und quellenkritisch kommentiert. Dabei werden auch Dokumente ediert, die bislang gar nicht oder zu wenig beachtet wurden, oder aber Schutzfristen unterlagen. Jeder Tag schließt, soweit es die Quellenlage erlaubt, mit einer chronologischen (und immer wieder auch topographischen) Rekonstruktion – insofern geht dieses Projekt über eine reine Edition auch hinaus.

Die Quellen werden hier so authentisch wie möglich dargestellt. Glättungen, v. a. stillschweigende Korrekturen von Fehlern oder Anpassungen in der Rechtschreibung, wie sie ansonsten vielfach vorgenommen werden, kommen nicht vor. Die Reproduktion des originalen Zeilenumbruchs ermöglicht, zusammen mit einer konsequenten Foliierung bzw. Paginierung¹ und Zeilennummerierung, die präzise Zitierung – damit wird ein neuer Standard in der Zitation der Weiße-Rose-Quellen gesetzt. Als grundlegendes Instrument der historisch-kritischen Kommentierung wurde die Quellenkritische Kategorientafel mit 10 Leitfragen entwickelt.

Die Darstellung eines jeden Tages ist als eigenständiges Dokument einschließlich Hinweisen zu quellenrelevanten Akteuren des NS-Regimes,² Mediennachweis und Personenregister konzipiert und wird als PDF publiziert. Später ist beabsichtigt, alle Texte in einem umfangreichen Kompendium zusammenzufassen und der weiteren Forschung zur Verfügung zu stellen. In der gegenwärtigen Projektphase liegt der Schwerpunkt auf der Edition der Quellen selbst, nicht auf ihrer Kritik. Insbesondere komplexe Dokumente werden zunächst nur mit quellenkritischen Hinweisen versehen. Sind die Quellen weitgehend ediert, so kann und muss ihre Kommentierung intensiviert werden.³ Eine Übersicht über die Gesamtheit der bereits edierten Quellen bietet das stets aktuelle Quellenverzeichnis. Ebenfalls von großem praktischen Nutzen dürfte das im Entstehen begriffene Gesamtpersonenregister sein.

Die Beschränkung auf das Jahr 1943 ist ausschließlich der Tatsache geschuldet, dass die Forschung nebenberuflich erfolgt, und dass allein für die Darstellung der Monate Januar bis Oktober 1943 etwa 10 Jahre veranschlagt werden müssen. Aber auch die hier veröffentlichten Quellen berücksichtigen häufig den Widerstand der Weißen Rose vor 1943. Insofern wird das Jahr 1942 keineswegs ausgeblendet.

Selbstverständlich ist ein Ein-Personen-Projekt auf Kooperation unbedingt angewiesen. Neben archivalisch, forschend und publizistisch ausgewiesenen Persönlichkeiten unterstützen mich auch Angehörige von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Namentlich möchte ich an dieser Stelle Prof. Dr. Hans Günter Hockerts, Dr. Robert M. Zoske und Katinka Florianne Kalusche für ihre ebenso unermüdliche wie unverzichtbare Hilfe danken. – Sollten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, auf Schreibfehler, quellenkritisch problematische Einschätzungen sowie fehlende Quellen aufmerksam werden, so freue ich mich jederzeit über Ihre entsprechenden Hinweise!

Hamburg, am 12. Oktober 2022
Dr. Martin Kalusche

 

 

¹Foliierung: Die alphanumerische Kennzeichnung eines Blattes mit Vorder- und Rückseite. Paginierung: Die numerische Kennzeichnung einer Seite (Seitenzahl).

²Vgl. nunmehr das zentrale Verzeichnis unter https://www.quellen-weisse-rose.de/verzeichnisse/akteure-des-ns-regimes/.

³Vgl. exemplarisch die Kommentierung der Niederschrift der Hauptverhandlung am 19.04.1943 (QWR 19.04.1943, E10).